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Anachronismus Offener Kanal.

"...Offene Kanäle sollen Bürgerforen sein. Doch häufig tummeln sich dort Psychpathen, Propheten und Chaoten.". Das haben wir uns nicht ausgedacht sondern zitieren nur die "Welt", ohne Zweifel ein renommiertes Blatt.

Hintergrund dieser Schlagzeile sind die übervollen deutschen Kabelnetze in denen die Offenen Kanäle jeweils eine der wertvollen Frequenzen belegen, die bei den kommerziellen Newcomern heiß begehrt sind. In Berlin wird bereits laut über eine Abschaltung des dortigen Offenen Kanals nachgedacht.

Denn:

  • Zum Massenmedium fehlt den Offenen Kanälen die Masse. Die Beiträge sind auf erschreckend niedrigen Niveau. Die Programm-Macher sind Dilettanten mit Hang zur Selbstüberschätzung und die, die zuschauen sollen, tun es nicht.
  • Wer würde den Offenen Kanal vermissen?
  • Kann ein hoffnungsvoller Sportverein z.B. zum NDR gehen und sagen:"So was wie uns gibt es noch nicht. Berichtet doch mal darüber!"?

    Im Offenen Kanal Hamburg würde dieses Szenario folgendermaßen aussehen: Der Verein bewirbt sich um einen Sendeplatz, bekommt ihn bewilligt und darf sich ab sofort das Equipment des Offenen Kanals ausleihen. Mit dem Rest wird der Neunutzer allein gelassen. Eventuell erklärt ihm noch jemand wie in etwa der Schnittplatz funktioniert. So genau wissen das noch nicht mal alle Mitarbeiter.

    Doch was sind das für Leute die im OK eine Sendung machen? Auf alle Fälle Zeitgenossen die sehr mitteilungsbedürftig sind, möchte man jedenfalls meinen. Wahrscheinlich können wir uns auch dazuzählen.

    Zuallererst sind da die Leute die einfach nur auffallen wollen. Sie halten sich selbst für die Größten und ihr Tun für das einzig wahre. Die idealen Opfer für Stephan Raab und sein TV-total(sinnlos). So wie z.B. Jürgen Isenbart mit seinem KOCHKUNSTCLUB

  • Therapie? Nein, nach eigener Aussage steht der Spaß am Nonsens im Vordergrund.
  • Hofft auf seine Entdeckung? Nein, hat er nach eigener Aussage nicht nötig.
  • Was soll die Sendung aussagen? Lust am Trash.
  • Publikum/Feedback? Hat eine große Fangemeinde im Bekannten-, Kollegen- und Freundeskreis
  • Außer den studentischen Hilfskräften von TV-total dürfte diese Sendung jedoch kaum ernsthaft Zuschauer binden. Denn diese im 1-Personen-do-it-youself-Verfahren zusammengebastelte Klamotte interessiert höchstens Leute mit einem ausgeprägten Sinn für Schadenfreude. Wenn nämlich etwas schiefläuft. Und das passiert seit es diese Sendung gibt. Quasi als extralanger Running-Gag. Da es in unserer Fernsehgesellschaft zunehmend mehr Zuschauer toll finden wie sich jemand vor der Kamera zum Affen macht, ist diese Sendung eigentlich voll auf der Höhe der Zeit.

    Dann gibt es noch Sendungen die gut gemeint sind, aber leider vom Publikum ignoriert werden. Immer wieder kann man beobachten das vom Offenen Kanal mit großem Aufwand und meist auch unter politischem Druck irgendwelche internen Projekte angeschoben werden. Besonders die Themen Multikulti, Schwule, AIDS, Jugendliche, Gewalt und Verkehr sind die absoluten Dauerbrenner der Mitarbeiter, die sich im Fall des Offenen Kanal Hamburgs inzwischen sogar "Redakteure" nennen. Eine jornalistische Ausbildung hat hier keiner. Die meisten sind Pädagogen aller Coleur, die in irgendwelchen nebulösen Schulungen ihre sogenannte "Medienkompetenz" erworben haben.

    Eine weitere Gruppe sind die ausländischen Programme, die zum Großteil in einer abenteuerlichen technischen Qualität über den Sender gehen. Über den Inhalt sollte man kein Wort verlieren. Der Großteil ist in der Heimat aufgezeichnetes professionelles Material, welches durch unzähliges Kopieren über defekte Heimvideorekorder zu dem wird was es ist: Audio-visuelle Folter! Nur ein kleiner Teil wird in Deutschland produziert. Von befreundeten Ausländern erfuhr ich das sie diese Programme nicht rezipieren, da es sich wie auch bei vielen deutschsprachigen Sendungen zumeist um ausgemachten Schwachsinn, publizierte Langeweile oder fanatische Religionsbekenntnisse handelt.

    Eine kleine Gruppe bilden die "kritischen Mitmenschen", die ihre mehr oder minder verqueren Weltanschauungen der Öffentlichkeit kundtun. Zu dieser Gruppe gehören z.B. die Leute, die mit sehr ernster Miene etwas gegen Handysmog, Globalisierung oder Kriminalisierung des Haschischkonsums unternehmen wollen.

    Zu guter Letzt gibt es auch noch die Spaßvögel die meinen, sie könnten auch Fernsehen machen wie die Großen. In dieser Gruppe tummeln sich viele niedere Beschäftigte der Fernsehindustrie. Wie z.B. Kameraassistenten ohne Ausbildung, angelernte Jung-Cutter und neuerdings auch sogenannte "Mediengestalter", die in ihrem Beruf zu wenig Bestätigung erhalten und deshalb in ihren Pausen auf dem firmeneigenen Betacam-SP Schnittsystem ihre eigenen Sendungen zusammenhacken.

    Letztgenannte Gruppe wurde schlagartig größer, als der Offene Kanal bekanntgab, ab sofort die GEMA und GVL-Gebühren zu übernehmen. Sendungen, in denen junge Leute sich ihr persönliches VIVA oder MTV-Plagiat zusammenbasteln, schossen zwar nicht gerade wie Pilze aus dem Boden. Aber der Anteil an professionellen Musik-Clips, die oft kostenlos von Plattenfirmen zu Promotionzwecken abgegeben werden, nahm spürbar zu.

    Doch irgendwie hat das alles wohl auch einen politischen Hintergrund. Inzwischen sendet bundesweit in allen Offenen Kanälen Deutschlands ein Magazin des Verbandes Rockmusik e.V., Hannover. Diese Sendung soll Videos von so genannten Newcomerbands ins Airplay befördern.

    Das zu diesen "Newcomern" auch Künstler wie Jan Eisfeld alias Jan Delay oder auch Absolute Beginner gehören, wunderte wahrscheinlich nicht nur Brancheninsider.

    Fakt ist, das diese Sendung, welche übrigens den Namen "Zweiter Aufschlag" trägt, professionell produziert wird und kommerziellen Maßstäben Rechnung trägt. Denn alle Künstler die dort gezeigt werden haben einen Plattenvertrag und bereits ein Musikvideo produziert. Das zum Thema Werbeverbot im Offenen Kanal.

    Eigentlich sollen die Offenen Kanäle Begegnungsstätten sein. Doch die Nutzer schmoren zum Großteil im eigenen Saft. Die Eigenbrötler überwiegen. Mit einer Handycam den eigenen Urlaub abzufilmen ist einfacher als sich in ein Team einzufügen.

  • Der Offene Kanal hat ein gewaltiges Image-Problem. Je größer die Stadt desto schlimmer!
  • Die Macher wissen selbst nicht, wer sich ihr Programm eigentlich ansehen soll!
  • Das Publikum würde den Verlust des Offenen Kanals vermutlich nicht ein mal bemerken!
  • Inzwischen sucht der Bundesverband Offener Kanäle die Argumente der OK-Gegner zu entkräften. Ausgerechnet mit einer Zettelaktion fragt dieser die Nutzer nach "1000 Gründen für einen Offenen Kanal".

    Offenbar scheint ganz oben schon die Ratlosigkeit ausgebrochen zu sein. Für die besten von den Nutzern, und damit den programmgestaltenden Amateuren, eingereichten Argumente gibt es 500 DM.

    In der nahen Zukunft wird sich wohl erstmals das Verbreitungsgebiet der Offenen Kanäle verkleinern. Denn die schützenden Reservate der Kabelnetze großer Städte werden bald nicht mehr sicher sein. Nach dem die Telekom als Kabelnetzbetreiber die Anlagen in vielen deutschen Großstädten an ein amerikanisches Unternehmer- und Bankenkonsortium verkauft hat, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, wann die Schwächsten rausfliegen.

    Auch die anstehende Digitalisierung der Fernsehkanäle, Stichwort DVB, wird für weitere Probleme sorgen. Bis jetzt, im analogen Zeitalter, lässt sich die weitverbreitet schlechte technische Sendequalität der Offenen Kanäle noch mit mangelhafter Technik der Nutzer und des Ok's erklären.

    In Zukunft werden sich die technischen Wertigkeiten der Kanäle unterscheiden. War analog noch jeder Kanal gleich, so lassen sich digitale Kanäle skalieren. Von billigster Telefonqualität bis HDTV-Auflösung ist in einem Kanal alles denkbar. Möglich macht das die unterschiedliche Bandbreite. Und das kostet dann auch jeweils einen eigenen Preis. Während die Öffentlich-Rechtlichen TV-Anstalten schon jetzt im DVB die höchsten Datenraten einkaufen, bevorzugen kleine Billigsender das niedrigste, was zu bekommen ist und sparen damit richtig Geld.

    Ergo: Für einen eventuell noch vorhandenen Offenen Kanal wird die niedrigste Datenrate übrigbleiben. Das wird noch mehr sichtbare Folgen auf die Bildqualität haben.

    Möglicherweise hat sich aber das Thema "Offener Kanal" bis dahin von selbst erledigt.


    Ergänzt am 2.2.2003